top of page
merleschoewel

Taste the feeling - Nachtschicht im Shelter

Seit genau drei Wochen bin ich nun in Blackpool. Ich habe mich hier etwas eingelebt und angefangen, einen Alltag aufzubauen. Da ich jede Woche andere Schichten arbeite, ist dieser nicht immer genau gleich, aber es stellt sich trotzdem bereits eine gewisse Routine ein. Heute möchte etwas über meine Nachtschichten, also meiner Arbeit im Shelter, erzählen.


So sieht das Shelter von außen aus


Meistens habe ich drei Nachtschichten pro Woche. Vorweg, weil ich oft gefragt werde, ob ich dann die ganze Nacht wach sein müsse – nein, zum Glück nicht, im Optimalfall schläft man etwa 7 Stunden. Aber wie läuft das ganze ab?


Gegen 6 Uhr mache ich mich auf den Weg zur Base. Dort treffe ich die zweite Person, mit der ich die Nacht leiten werde. Zusammen lesen wir uns den Bericht der vorherigen Nacht durch und machen uns dann auf den Weg zum Shelter. Der ist etwa 5min Fußweg von der Base entfernt. Wer sich Bilder vom Shelter anschauen möchte, kann gerne auf der Streetlife Website vorbeischauen ( The Night Shelter – The Streetlife Trust (wearestreetlife.org) ). Im Untergeschoss gibt es einen Waschraum mit Waschmaschine und Trockner. Außerdem gibt es dort einen großen Fernseher und viele sehr gemütliche Sitzsäcke- also die perfekte Voraussetzung für Film- und Serienabende. Im Obergeschoss gibt es eine Küche, Bad, 8 kleine Zimmer für die YPs (Young Person) und je eines für uns Diensthabende. Von einem von unseren Räumen lassen sich die Alarmanlage und Videoüberwachung steuern. Wenn wir im Shelter ankommen, bereiten wir uns auf die Nacht vor, indem wir einen großen Tisch aufstellen, Getränke und Papiere vorbereiten. Kurz vor 7 Uhr gehen wir dann zur Tür, um zu checken, wer alles da ist. Bisher sind es meistens so 4 bis 7 YPs gewesen, wenn es mehr wären, müssten wir entscheiden, wer hereinkommen darf und wer abgewiesen wird. Zum Glück war ich bisher noch nicht in dieser Situation, das stelle ich mir sehr schwierig vor. Ab um 7 Uhr ist dann Einlass und zuerst muss ein bisschen Papierkram erledigt werden. Wir dokumentieren jede Nacht die Vorkommnisse und schreiben über jede einzelne Person Berichte, damit die anderen Mitarbeitenden in der Base wissen, was passiert ist und alle immer auf dem neusten Stand sind. Im Optimalfall gibt es am Abend Spenden mit Essen, die Leute zum Shelter bringen. Ansonsten gibt es in der Küche Vorräte und wer will, kann sich etwas zu essen machen. Die meisten YPs gehen aber abends noch mal aus. Sie dürfen das Shelter verlassen, müssen dann aber wieder bis um 10 Uhr zurück sein. Manche YPs ziehen sich in ihr Zimmer zurück, anderen waschen ihre Kleidung und duschen und andere haben Lust mit uns Filme oder Serien zu schauen, Spiele zu spielen und zu quatschen. Ab halb 12 Uhr ist dann Bettruhe, das heißt Licht aus und alle müssen in ihre Zimmer gehen. In ruhigen Nächten können auch wir dann schlafen. In der Woche werden die YPs um 7:45 Uhr von uns geweckt, am Wochenende eine Stunde später. Nach dem Wecken haben die YPs Zeit zu frühstücken. Dann verteilen wir kleine Morgenjobs wie Fegen, Wischen oder Abwaschen. Sind die Aufgaben erledigt, können die YPs gehen und unsere Schicht endet somit gegen 9 Uhr.


So viel zur Theorie der Nachtschicht aber wie fühlt es sich an, dort zu arbeiten? An dieser Stelle möchte ich Liv, meine deutsche Mitbewohnerin und Kollegin, zitieren, die meinte, die Schicht im Shelter sei wie eine große Übernachtungsfeier von Jugendlichen, aber man sei die Mama. Und auch wenn ich da wohl wenig Erfahrung habe - Liv übrigens auch nicht - ich denke, das passt. Da wir nur zu zweit dort sind, hat man schneller und deutlich mehr Verantwortung als in der Base, wo meistens mehrere Mitarbeitende anwesend sind. Dabei sind wir für die Organisation des Ganzen verantwortlich, aber viel mehr, muss man dort auch sehr aufmerksam sein. Ich glaube, um unsere Arbeit zu verstehen, muss man sich die Situation vieler YPs vor Augen führen. Sie sind obdachlos, viele schon mehrere Wochen oder Monate lang. Die meisten kommen aus sehr schwierigen Elternhäusern, laufen auch teilweise davor weg. Manche von ihnen nehmen Drogen, verletzen sich selbst und verlieren schnell die Kontrolle über ihre Emotionen. Die meiste Zeit ist es im Shelter dennoch ruhig und alle gehen respektvoll miteinander um. Ich glaube, für sie ist das ein Ort, wo sie eine gewisse Sicherheit und Routine erfahren und sich wohl fühlen und ihnen geholfen wird. Die Arbeit im Shelter ist aber trotzdem immer etwas angespannt, weil die Stimmung auch schnell kippen kann und es regelmäßig zu Auseinandersetzung kommt. Ich habe auch das Gefühl, dass jetzt gerade am Anfang etwas ausgetestet wird, wie weit man bei uns neuen Freiwilligen gehen kann. Diesen Sonntag hatte ich meine erste Schicht zusammen mit Liv, die selbst nur eine Woche länger als ich da ist. Mitten in der Nacht begann ein YP laut zu telefonieren und auch auf meine Hinweise und Ermahnung hin, hörte er nicht auf. Es gibt hier ein bestimmtes Prozedere, das durchgeführt wird, wenn Regeln nicht eingehalten werden. Dabei gibt es das „Time out“ als Strafe. Das heißt, dass der jeweilige YP für eine bestimmte Zeit weder das Shelter noch die Base nutzen darf. Meine Arbeit hier führt mich vor Entscheidungen. Was mache ich, wenn nicht auf mich gehört wird? Ist es gerechtfertigt ein Time out auszusprechen für Telefonieren, wenn ich weiß, dass die Person dann die nächste Nacht keine Unterkunft hat? Zum Glück habe ich hier immer die Möglichkeit auch im Nachhinein mich mit den anderen Arbeitenden zu beraten und solche Situationen zu reflektieren. Letztendlich versuchen wir immer eine gute Beziehung zu den YPs aufzubauen. Wir versuchen mit ihnen ins Gespräch zu kommen, ihre Geschichten kennenzulernen und auch für sie einfach ein Ansprechpartner und Freund zu sein. Dafür sind auch die etwas entspannteren Schichten in der Base gut. Von denen werde ich dann nächstes Mal schreiben.


Okay genug von der Arbeit, jetzt noch ein paar Neuigkeiten über meine Freizeit hier.


Abends ist die Promenade beleuchtet. Wir sind als kleine Gruppe von Streetlife spazieren gegangen und haben Fish und Chips gegessen:




Ich bin jetzt stolzer Besitzer einer Zimmerpflanze, die NOCH lebt:


Nein, Blackpool ist nicht abgebrannt, die Sonnenuntergänge sind aber immer noch heftig:



Wir haben ein schönes kleines Café entdeckt, wo man sehr lecker vegetarisch und vegan frühstücken kann (Seeeehr untypisch für Blackpool):




85 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Die Bakery

Comments


bottom of page