Der Plan stand schon lange fest. Bereits im Oktober hatten Emma und ich uns mit Handschlag darauf verschworen das Lake District wandernd zu durchqueren. Damals lachten wir noch, jetzt lachen wir wieder drüber, aber die letzte Woche lachten dann doch eher die Schafe über uns.
Emma und ich kannten uns sporadisch durch die Stiftung, weil sie ursprünglich im Jahrgang unter mir war. Zusammengeschweißt hat uns wohl die Vorstellung der absoluten sportlichen Herausforderung, der Gedanke physisch und mental an unsere Grenzen zu kommen und darüber hinauszuwachsen. Also wurde der Plan geschmiedet und konkretisiert. Es sollte im Sommer ins Lake District gehen. Dieses ist ein berühmter Nationalpark, der in der Grafschaft Cumbria nordwestlich in England liegt. Nach kurzer Recherche wurde der perfekte Weg ermittelt: Der Cumbria Way.
Der Cumbria Way ist ein Fernwanderweg, der sich 112km zwischen Ulverston und Carlisle erstreckt. Normalerweise wird er dabei von Süden nach Norden gewandert, auf Empfehlung sind wir jedoch in Carlisle gestartet und Richtung Süden nach Ulverston gewandert. Man kann den Weg außerdem auf 5 oder 6 Tagesetappen aufteilen, da wir aber sowieso mit dem Zelt und spontaner unterwegs sein wollten, machten wir uns da gar keinen Kopf drum, sondern planten Dienstag zu starten und hofften bis sonntagabends dann in Ulverston anzukommen. Eingepackt wurden in zwei große Wanderrucksäcke demnach dann ein Zelt, Campingkocher, Geschirr, Isomatten, Schlafsacke, Kleidung, usw. Wir planten abwechseln auf Campingplätzen und wild zu campen. Am Montag letzter Woche trafen wir dann also in Carlisle zusammen. Emma kam aus Deutschland eingeflogen, ich aus Blackpool mit dem Zug. Am ersten Abend gönnten wir uns noch richtiges Essen, Hotelbetten und Duschen und Emma machte mich mit dem Spiel Bauernskat bekannt. Ein bisschen enttäuscht waren wir als wir auf dem Marktplatz von Carlisle kein einziges Schild oder Markierung des Weges fanden, was ja eigentlich sogar das Endziel der Strecke sein sollte. Aber wir waren noch gut drauf und lachten über die echt fertig aussehenden Wanderer, die dort ankamen und fragten uns, wie wir wohl in einer Woche aussehen würden.
Ach wie motiviert ich das Haus in Blackpool verlassen habe
Los geht's in Carlisle
Dienstag früh begann dann der richtige Weg und das Abenteuer. Mit der Aussicht die nächsten Tage nur noch Wasser mit Milchpulver und Müsli zu frühstücken, gönnten wir uns im Hotel noch ein Full English Breakfast und wanderten dann die ersten zwei Kilometer ins Stadtzentrum zum Beginn des Cumbria Ways. Am ersten Tag waren 24km bis nach Caldbeck geplant, wo wir uns auf einem Campingplatz dem wild campen erstmal langsam annähern wollten. Leider wurden wir schon nach den ersten paar Kilometern von einem Spaziergänger darauf aufmerksam gemacht, dass ein weiter Teil der Strecke heute gesperrt sei. Najaa, wir werden schon einen Umweg finden. Das taten wir auch, auch wenn wir zwischendurch das erste Mal verloren auf einer Baustelle mitten im Nichts endeten oder uns querbeet durch Brennnesseln schlagen mussten. Die erste Tagesetappe lag aber noch etwas außerhalb des eigentlichen Lake Districts und deshalb war die Strecke schön grün und relativ flach. Oftmals hangelte man sich auch von Kuhwiese zu Kuhwiese durch die Hitze. Gegen Ende dieses Tages merkten wir wohl das erste Mal unsere Füße und dass es doch einen extremen Unterschied macht, ob man mit großem Rucksack wandert und dann auch noch das Wasser mittragen muss. Aber man kann die Flaschen ja auch mal am Bach auffüllen oder einen 10min Powernap mitten auf dem Weg machen, es kommt ja eh niemand vorbei. Abends kamen wir müde aber nach einem guten Wandertag am Campingplatz an, bekamen noch Campingstühle und torkelten sogar ein paar Meter weiter zu einem Restaurant, wo wir einen leckereren Halloumiburger mit Süßkartoffeln verschlangen. Danach stellten wir fest, dass man nie zu alt für die „Drei Fragezeichen“ ist und starteten das Ritual jeden Abend eine Folge zu hören. Naja eine Zeltmitbewohnerin auch nur für ein paar Minuten, weil man zu Stimmen so gut einschlafen kann :).
Am nächsten Morgen mixten wir das erste Mal Milchpulver in Wasser und beschlossen, dass es schlimmer klingt als es schmeckt. An diesem Tag sollten die meisten Höhenmeter der Woche anstehen, der High Pike sollte als höchster Punkt erklommen werden. Die fiesen Erschaffer des Berges bauten aber den gemeinen Trick ein, dass man immer denkt, man sei schon fast oben und dann kommt nach der Kurve die nächste Steigung. Aber alles kein Problem, wenn man vorher Ingwer-Schokokuchen gekauft hat und der im Rucksack langsam zu schmelzen anfängt – ein ganz neuer Ansporn. Oben wurden dann Tourifotos geschossen und weiter ging es.
Aber Moment, sollte der High Pike nicht der einzige Berg der ganzen Wanderung sein? Nicht mit uns! Emma und ich machten kurzer Hand noch Abstecher auf 4 weitere Berge, weil wenn man erst mal falsch gelaufen ist, kann man ja nicht umdrehen, sondern da vorne kann man bestimmt irgendwann wieder auf den richtigen Weg. Nach dieser absolut geplanten 5 Gipfelwanderung kommen wir schließlich wieder mitten im Nichts an eine Jugendherberge. Da wir abends wild campen wollten, fragen wir kurz nach, ob wir duschen können und füllen unsere Flaschen auf. Ab weiter geht’s. Obwohl, warte mal kurz, mir geht’s nicht mehr so gut. Hmm, Emma auch nicht. Tjaaa, die richtige Herausforderung der Wanderung beginnt an dieser Stelle. Gegen 16 Uhr wird uns beiden nämlich kotzübel und wir fangen fast simultan an uns zu übergeben. Naja, einmal übergeben und dann geht es einem wieder besser und man kann weiterlaufen oder? Oder?? Nunja sagen wir mal, so schnell ging das leider nicht wieder weg. Wir quälten und ein bisschen weiter, was soll man sonst irgendwo im Nirgendwo auch machen, schlagen etwas weg vom Weg den Berg hoch und schaffen es schließlich irgendwie unser Zelt aufzubauen. Wie wir das gemacht haben, ist mir inzwischen echt nicht mehr ganz klar, aber was muss muss und irgendwo muss man ja schlafen, auch wenn es einem echt beschissen geht. Die Nacht war echt der totale Albtraum. Abwechseln müssen wir immer wieder das Zelt verlassen, wir liegen natürlich auch auf einer absoluten Schräge, um den perfekten Platz zu suchen, hatten wir einfach keine Energie mehr. Da stellt sich uns aber natürlich schon die Frage…was war los? Wir hatten doch tagsüber nur ein paar Snacks gegessen und von einem Twixx wird man sich wohl kaum so oft übergeben müssen oder? Es muss doch aber Essen oder Trinken gewesen sein, sonst hätten wir doch nicht so zeitgleich die gleichen Beschwerden. Warte mal, gestern hatten wir doch dieses Wasser getrunken! Rückblickend sind wir uns jetzt ziemlich sicher, dass das Wasser, was wir am ersten Tag aus dem Bach getrunken hatte, wohl doch nicht ganz so gut war. Es wirkte damals relativ klar und schmeckte gut und wenn es so heiß ist, denkt man da weniger drüber nach. Naja, 24h später hatten wir genug Zeit und Grund drüber nachzudenken. Laut dem Internet sei es wohl nicht schlimm, wenn man ausversehen man ein paar Schlucke dreckiges Wasser trinkt, bloß halt nicht literweise. Zählen unsere 3 Liter pro Person schon als Literweise :)? Offensichtlich ja!
Die Bilder sehen viel zu schön aus
Nun ist es natürlich relativ ungünstig am zweiten Tag einer Fernwanderung krank zu werden. Aber ein Grund aufzugeben war das noch lange nicht. Jedenfalls nicht für Emma und mich. An diesem Tag sind wir in Keswick, einem für das Lake District größeren Ort, vorbeigekommen, wo es sogar einen Minigolfplatz gab. Der gepflegte Rasen kam mir wie ein Himmelbett vor, also startete ich eine zweistündige Tiefschlafphase. Auch wenn der dritte Tag dementsprechend echt mega hart war, sind wir irgendwie in der Hitze mit Rucksack noch 18km zum nächsten Campingplatz gestolpert. Der Witz für uns war, unsere Füße taten zwar auch weh, es war aber ein Luxusproblem. Denn wenn man sich über seine Füße aufregen konnte, ging es einem schon wieder besser, dann hatte man andere Probleme nicht. Wir erreichen den Campingplatz, dessen Besitzerin uns überrascht erzählt, dass heute schon drei andere deutsche Personen dort angekommen sind. Wirklich Energie für Small Talk hatten wir leider aber nicht mehr, wir sind eher in unser Zelt gefallen. Unseren Mägen ging es an dieser Stelle schon wieder ein wenig besser, aber gesund wurden wir leider noch nicht richtig. Die nächsten zwei Tage schlagen wir uns so voran. Wir schlafen weiterhin auf Campingplätzen und sammeln unsere Kilometer, ohne dabei wirklich was zu essen.
Fotos des Tages...
Aber es geht uns jeden Tag minimal wieder besser und der neue Plan entsteht. Die letzte Nacht der Wanderung wollen wir wieder wild campen, dieses Mal soll es eine schöne Erfahrung werden. Und tatsächlich finden wir mitten in den Bergen einen See und den perfekten Platz zum campen.
Am Sonntag laufen wir die letzten paar Kilometer nach Ulverston, verlaufen uns noch mal deutlich und stecken auf einer Schafswiese fest. Am Nachmittag erreichen wir dann endlich Ulverston, wo sogar eine Art Ministadtfest mit Live-Musik stattfindet. Erschöpft, aber überglücklich das Ziel erreicht zu haben und insbesondere wieder gesund zu sein, können wir endlich uns im Supermarkt ein richtiges Wanderfestmahl gönnen. Käsekuchen, Schokomilch, frische Erdbeeren, wir essen alles, die wir finden können.
Über Stock und über Steine. jeder kennt die beide...
Geschafft!
Abends musste ich schon wieder zurück nach Blackpool fahren, da ich Montag wieder arbeitete. Als Fazit kann man echt sagen, dass diese Woche die absolute Herausforderung war. Der Weg war wirklich schön und ist durchaus empfehlenswert. Ich denke unter normalen Bedingungen, ist er schon auch anspruchsvoll, aber machbar. Wir hatten uns für die Wanderung ein neues Level ausgedacht, dadurch war es schon ein totaler Kampf mit sich selbst. Auch wenn ich vorher schon einige Fernwanderwege gelaufen bin, bin ich mir recht sicher, dass diese Woche die größte Herausforderung bisher war. Letztendlich, sind uns einig, wir bereuen die Woche aber auf keinen Fall, das war eine mega Erfahrung, von der wir bestimmt auch noch einige Zeit erzählen können.
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